Vergangenen Donnerstag war ich bei einer Podiumsdiskussion in Hannover. Es ging um Islam in den Medien und wurde veranstaltet von der MSV Hannover. Eingeladen waren Prof. Dr. Helmut Scherer vom Institut für Journalismus und Kommunikationsforschung Hannover, Kay Sokolowsky, freier Journalist und Autor des Buches “Feindbild Moslem” und der Haz-Redakteur Dr. Daniel Alexander Schacht. Unangekündigt dabei war auch Belal M. El-Mogaddedi, u.a. 2. Vorsitzender des Hauses der Religionen e.V. in Hannover und Vertreter der Deutschen Muslim Liga.
Die Teilnehmer waren offensichtlich sehr gut ausgewählt, denn meines Erachtens ist die Podiumsdiskussion sehr gut gelungen. Die Standpunkte waren so unterschiedlich, dass die Fetzen fliegen konnten, aber jeder bewahrte den Respekt vor dem Anderen und seiner Meinung, sodass tatsächlich eine konstruktive Diskussion stattfand.
Einige interessante Eindrücke möchte ich hier als Gedankenanstöße möglichst ungewertet wiedergeben… (Angaben ohne Gewähr – was ein Mensch hört muss nicht unbedingt das sein, was das Gegenüber gesagt hat.)
Zu Beginn gaben Prof. Scherer und Herr Sokolowsky ihr Statement ab:
Herr Prof. Scherer leitete seinen Standpunkt mit der Feststellung ein, dass man die Medienberichte über sich selbst stets negativer wahrnimmt als andere es tun werden. Er erklärte dies am Beispiel deutscher Uni-Professoren, die vorallem als faul und reich dargestellt würden. Außerdem verteidigte er die Position der Journalisten: Sie stünden vor einer großen Aufgabe, die darin bestünde, möglichst viele Zeilen in möglichst wenig Zeit zu verfassen. Um dies zu bewältigen seien bestimmte Regeln nötig, u.a.:
Only bad news are good news.
Die Relevanz einer Nachricht steigt mit dem Handlungsbedarf. Je gravierender ein Thema ist, desto dringender müsse es in den Medien auftauchen. Es gäbe also in den Medien keineswegs einen Block gegen den Islam, der denselben abwerten möchte, sondern Grund für die größtenteils negativen Meldungen seien schlechte Arbeitsbedingungen und begrenzte Ressourcen der Journalisten.
Herr Sokolowsky begann sein Statement mit der Feststellung, dass der Fall des Mordes an Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal kaum aufgearbeitet wurde. Er fragte, woher der Hass des Mörders Alex Wiens gegen alle Muslime käme und warum nicht spätestens nach diesem Vorfall die Rolle der Medien nicht grundlegend überdacht wurde (Selbstreflexion). Er forderte außerdem, dass bspw. der Webblog politically incorrect, der sich u.a. explizit gegen den Islam wendet, gesellschaftlich verächtet werden müsse. Es gäbe nur wenige Journalisten, die wirklich selbstreflektiert berichteten, jedoch fast nie auf der Titelseite. Als extremstes Beispiel gelte hier selbstverständlich die BILD-Zeitung.
Weiterhin stellte er fest, dass der Islamhass zu einer neuen Form des Rassismus geworden sei. Massenmeinungen, in den Medien wiedergegeben, sei ein einträgliches Geschäft. Er berichtete von einer Studie, laut der 45% der Neuntklässler zustimmten, dass kulturelle Vielfalt keinen Reichtum darstelle. Außerdem zitierte er eine Stern-Reportage, die besagte, dass 80% der jugendlichen Berliner Intensivtäter einen Migrationshintergrund haben. Dass das aber wiederum nur 500 von 5000 Berliner Kindern mit Migrationshintergrund seien, wurde nicht genannt.
Nun kam es zur eigentlichen Podiumsdiskussion.
Dazu eine Auswahl sinngemäßer (!) Zitate der Teilnehmer:
Prof. Scherer: Henryk Broder wird nicht von normalen Leuten auf der Straße gelesen. Natürlich gibt es auch Rassisten in den Medien. Dumme Menschen finden Sie überall.
Herr Sokolowsky: Ich glaube nicht, dass es eine Verschwörung oder ein System antiislamischer Medien gibt. Aber Medien brauchen ein Publikum. Die Berichterstattung über den Fall El-Sherbini war deutlich geringer als über Ehrenmorde in Neukölln/Berlin.
Herr Scherer konterte allerdings, dass es dazu keine Beweise gäbe. Es käme natürlich zu Verkürzungen und Vereinfachungen, aber es könne keineswegs von einer Tendenz zum Zuwachs an islamfeindlichen Berichten gesprochen werden. Herr Sokolowsky berichtigte ihn, dass es nicht an Berichten über den Prozess fehle, sondern an der Nachbereitung, einer Einordung und Analyse des Geschehenen.
Prof. Scherer: Klischees gibt es in allen Bereichen, weit über den Islam hinaus. Das Internet ist kein professioneller Journalismus – es ist nicht geregelt.
Er gestand ein, dass auch Medien auf Falschmeldungen hereinfallen – wie etwa, dass Muslime in Großbritannien die Sparkassen dazu bewegt hätten, keine Sparschweine mehr zu verschenken. Herr Schacht meinte dazu, dass man hier die Rahmenbedingungen beachten müsse: Es ist nicht immer genug Zeit jede Meldung zu prüfen, im Zweifelsfall müsse man auf die Zuverlässigkeit der Quelle vertrauen. Er plädierte weiterhin dafür, Falschmeldungen prinzipiell presserechtlich zu verfolgen. Sie müssten aber nicht immer islamfeindlich gemeint sein, evt. liegt ein ganz einfacher Fehler vor.
Dr. Schacht: „News is what’s different“. Unsere Serie über Migranten ist gut angekommen.
Herr Mogaddedi: Das Problem liegt nicht bei der negativen Darstellung, sondern bei der Reaktion der Betroffenen. Professoren werden nicht beim Betreten der Universität überprüft.
(Muslime in Niedersachsen wurden über mehrere Jahre hinweg beim Betreten einer Moschee überprüft. Das hat hoffentlich ein Ende gefunden, weitere Infos z.B. im Kommentar des Moderators zu diesem Artikel, Anm. d. V.)
Weiterhin merkte er an, ob es bei fehlenden Informationen nicht besser gewesen wäre, wenn die Journalisten geschwiegen hätten, statt Falschmeldungen herauszugeben. Hier stimmte der Redakteur Herr Dr. Schacht zu. Am übernächsten Tag nach dem Vorfall hätte die Meldung spätestens verstanden und korrigiert werden müssen. Evt. wäre es sinnvoller, einen kurzen Hinweis über das definitiv Bekannte zu geben und am nächsten Tag ausführlicher zu berichten.
Prof. Scherer: Es müsste mehr Journalisten mit Migrationshintergrund geben. Und Migranten müssten mehr deutsche Zeitungen kaufen, so werden sie als Kunden für die Herausgeber interessanter.
Herr Sokolowsky: Ich bin kein Muslim und sehe trotzdem die antimuslimische Berichterstattung. Professoren sind etablierter Bestandteil der deutschen Elite. Muslime sind das nicht und damit leichter kritisierbar.
Herr Sokolowsky: Wenn eine Meldung wie die der britischen Sparschweine durch die Medien kommt, heißt das auch, dass die Journalisten bestimmte Vorannahmen haben, dass so etwas überhaupt möglich ist. Immerhin hat keiner nachgefragt, weil es ihm komisch vorkam.
Herr Mogaddedi las einen tagesaktuellen Bericht über den Sauerland Prozess aus der HAZ vor, in dem u.a. eine Muslima beschrieben wurde, die komplett verschleiert und schüchtern den Saal betritt. Dies entspräche – laut des Verfassers des Artikels – dem „Bild einer mustergläubigen Muslima“. Der HAZ-Redakteur Dr. Schacht weist darauf hin, dass dies kein Artikel von ihm sei und es tatsächlich richtiger gewesen wäre, wenn diese Aussage als eine persönliche Meinung des Autoren gekennzeichnet worden wäre.
Der Moderator Omar, ein Student der MSV, weist darauf hin, dass bei Muslimen sofort von „Ehrenmord“ gesprochen würde, wenn es bei nichtmuslimischen Betroffenen um ein „Familiendrama“ ginge. Ebenso würde ein „Amoklauf“ eines Muslims als „Terror“ geschildert. Hierzu äußerte sich Prof. Scherer: Die Journalisten würden versuchen, den Lesern die Sachlage leichter verständlich zu machen. Es fände damit eine Einordnung statt, auch für den Journalisten selbst, der sich natürlich mit dem Alltag der Deutschen besser auskenne als mit jenem von Migranten. Es handle sich um einen Mangel an Verständnis, keineswegs um ein System gegen den Islam. Herr Sokolowsky verweist hier auf eine bereits vorhandene Vorurteilsmaschinerie. Medien erfänden nicht, sie reagierten, allerdings zu unkritisch. Herr Dr. Schacht ergänzte, dass dies nicht nur bei Medien und Islam der Fall wäre, sondern bei der Gesellschaft und Islam generell.
Nun wurde das Podium für Fragen aus dem Publikum geöffnet.
Frage: Sind zuviele Menschen interkulturell und interreligiös inkompetent, sodass es zu solchen Vorurteilen kommt?
Herr Solokowsky antwortete, dass es nicht um die Religion ginge, sondern um das Fremde. Seit 9/11 sind die Muslime die „großen neuen Bösewichter dieser Welt“. Damit erhielten auch echte Rassisten eine gesellschaftsfähige Grundlage für ihren Hass. Rassismus sei es mittlerweile tatsächlich, denn es handle sich nicht um einfache Religionskritik, sondern um Behauptungen über die Physis, den Intellekt, etc. von Muslimen. Es wäre seines Erachtens nach sinnlos, einen echten Rassisten über den Islam aufzuklären. In der Schweiz konnte die Rechte gegen Muslime vorgehen (Minaretverbot), jetzt versucht sie es mit deutschen Uni-Professoren. Es geht ihnen darum, Fremde loszuwerden. Die Muslimhasser dort sind Migrantenhasser.
Prof. Scherer erklärte, dass bspw. Kindergärtner/innen in interkultureller Kommunikation geschult würden. Allerdings zahle Deutschland noch immer die Zeche für die lang verbreitete Annahme, Deutschland sei kein Einwanderungsland.
Frage: Expertenbefragungen sind oft nicht kritisch genug: Die Experten werden nicht eingeordnet.
Herr Dr. Schacht konnte dieser Aussage zwar nicht zustimmen, gab aber zu, dass nicht alle befragten Experten Muslime seien. Die HAZ habe versucht, türkische Journalisten zu bekommen, es hätte aber kaum Bewerbungen gegeben.
Prof. Scherer ergänzte, dass Experten auch nicht nur nach Sachkompetenz ausgewählt würden, sondern vorallem nach Medienkompetenz.
Frage: Ich erwarte von den Medien keine Aufklärung über den Islam, das mache ich als Muslima selbst. Aber ich erwarte Verantwortungsbewusstsein statt Instrumentalisierung. Und warum wird immer nur von Migrationsmuslimen gesprochen, nicht aber von Konvertiten und deren Kindern? Außerdem ist nie die Rede von den Errungenschaften des Islams. Stattdessen gibt es einen Überfluss an Nebensätzen, der Islam ist keine Sache. Ich habe Verständnis für Fehler, aber bitte um den Versuch um Neutralität.
Dr. Schacht bat hier um eine Präzisierung der Kritik statt einer Plakatierung der Medien. Selbstverständlich gäbe es 4 Millionen gute Muslime, die oft zur Elite gehören und nicht auffallen, weil sie den Klischees nicht entsprechen. Aber Medien berichteten von Auffälligkeiten und Abweichungen vom Regelfall. So gesehen haben sie ein gutes Weltbild, das sie voraussetzen. Medien berichten nicht, wenn der Bus wie immer pünktlich kommt, sondern wenn er sich verspätet.
Herr Sokolowsky wies an dieser Stelle darauf hin, dass Medien mehr als nur die Printmedien seien: Auch dem Fernsehen oder Webblogs müsse man Beachtung schenken. In der Tagesschau sei bspw. über lange Zeit immer das gleiche Bild gezeigt worden, wenn vom Islam gesprochen wurde. So etwas präge sich ein.
Weitere Statements aus der Diskussion mit dem Publikum
Herr Sokolowsky: Wir liefern nicht die Bildung, sondern die Nachrichten – das, was anders ist als am Tag zuvor.
Prof. Scherer: Das Internet ist außerhalb der klassischen Medien. Professionelle Medien findet man dort, wo ausgebildete Journalisten arbeiten.
Herr Sokolowsky: Broder tut so als bekäme er viel Widerspruch, das ist aber nicht so.
Dr. Schacht: Ich bin optimistisch. Vor 10 Jahren waren nur SPD und Grüne offen. Heute ist eine Frau an der Macht, wir haben einen schwulen Außenminister und die Rechtswissenschaft fördert die deutsche Islamkonferenz. Deutschland hat sich dramatisch verändert, das ist eine Chance. Der Prozess ist noch nicht zuende, aber es gibt die Tendenz.
Es ist schön zu sehen, dass die Veranstaltung ihren Weg ins Internet gefunden hat. Auch interessant (im Sinne des verlinkten Kommunikationsmodells) einen anderen Blickwinkel auf die Veranstaltung zu lesen.
Eine kleine Korrektur: „Muslime in Hannover wurden beim Betreten einer Moschee auf Anweisung der Stadt überprüft. Die Kirchen u.a.protestierten dagegen jedoch, sodass diese Vorschrift wieder aufgehoben wurde, Anm. d. V.“
Tatsächlich wurden die Personenkontrollen über mehrere Jahre (5?) in ganz Niedersachsen (und dementsprechend natürlich auf Anweisung des Landes (und zwar Innenminister Schünemann)) durchgeführt. Nicht jeden Freitag, aber doch zu ausgewählten Freitagen (2-5 mal im Jahr). Leider hat es nur wenig Protest gegeben. Von kirchlichem Protest habe ich nichts gehört, lasse mich aber eines besseren belehren. Tatsächlich gab es bereits mehrere Anfragen im Landtag (zumeist von den Grünen), bis es mal breiter ausgetragen wurde und kurz vor einer Gesetzesänderung hatte sich Wulff eingemischt und hat seinem Innenminister eingetrichtert, dieser möge keine verdachts- und anlassunabhängigen Kontrollen mehr durchführen. Wie weit das Wirkung haben wird, wird man in den nächsten Monaten ja sehen..
Achso, und ich war der Moderator (der sich im Rückblick betrachtet offensichtlich nicht genügend vorgestellt hat).
Hallo Omar,
vielen Dank für den Kommentar und die Korrektur. Mein Computer hat leider etwas gesponnen als ich den Artikel schrieb, sodass ich nicht nochmal nachforschen konnte, also hab ich es so aufgeschrieben wie ich es in Erinnerung hatte. Da ich nicht aus Niedersachsen komme, hatte ich meine Information nicht aus 1. Quelle, was immer ungünstig ist.
Kleines Feedback zu deiner Moderation: Ja, deine eigene Vorstellung hat leider etwas gefehlt (kannst sie ja hier nachholen 😉 ), da deine Kommilitonin (?) offensichtlich darauf vertraute, dass du das selbst übernimmst. Abgesehen von der Zeiteinteilung, die uns Studenten ja immer nicht ganz einfach fehlt, besonders wenn ein Gast deutlich zu spät kommt, fand ich die Moderation sonst gut gelungen. Nicht zuviel und nicht zuwenig geredet und interessante Punkte eingebracht. Bravo!
Viele Grüße,
Hanna/Kolo
So, ist berichtigt.
Meine Information bzgl. des Einsatzes der Kirchen kam übrigens von Pastorin Fricke (wenn ich sie denn richtig verstanden habe) vom Haus der Religionen. Sie sagte, dass sich die Kirchen empört direkt an das zuständige Amt gewendet hätten und das u.a. aufgrund dessen die Regelung zurück genommen wurde. Bei ihr klang es allerdings nach einem deutlich kürzeren Zeitraum, bzw. verstand ich es so, sodass ich dem bis zum Wiederauftauchen bei der Podiumsdiskussion keine weitere Bedeutung schenkte. Dank deines Kommentars ahne ich aber schon eher die Ausmaße und werde mir das wohl noch mal genauer anschauen 😉
Viele Grüße nochmals,
Hanna/Kolo
[…] gibt es da die Dauerbrenner wie Rassismus und Islam in den Medien, es gibt Zeitzeugenberichte aus dem Krieg und andere Blickwinkel auf “die Bösen” anhand […]